Interview mit Dr.'in Afsar Sattari
Im Interview sprachen wir mit Dr.'in Sattari über die Frage, warum es in Deutschland immer noch zu wenige Frauen in den MINT-Berufen gibt. Ihr wissenschaftlicher Blick auf die Thematiken MINT, Intersektionalität und Migration eröffnet dabei spannende Ansätze und hilfreiche Lösungsvorschläge.
Dr.'in Afsar Sattari ist Dipl.-Ing. für Nachrichtentechnik und Master of Science in Information Engineering sowie Doktorin der Philosophie von der Universität Wien. Sie arbeitet seit 2002 als Freiberuflerin in Köln und schreibt Artikel und Bücher zu technischen, feministischen und soziologischen Themen. Außerdem koordiniert sie Projekte für Migrantinnen und geflüchtete Frauen.
Frau Dr. Sattari, in Deutschland gibt zu wenige Frauen in den MINT-Berufen. Woran liegt das?
Ihre These stimmt. Im MINT-Bereich gibt es in der Tat zu wenige Frauen, sowohl im Studium als auch im Beruf. Die technischen Fachrichtungen und Berufe sind traditionell, insbesondere bei der Technikentwicklung, eine Männerdomäne und darin existieren die patriarchalischen Züge.
Den Mangel der Frauen im MINT-Bereich kann man folgenden Faktoren zuschreiben, zum einen die bipolare Erziehung, die die geisteswissenschaftliche Begabung den Frauen zuschreibt und die technische Begabung den Männern. Diese Erziehung spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Studiums oder des Berufes. Mit Stereotypisierung überträgt man dieses Wissen und die soziokognitive Struktur auf diese bestimmte Gesellschaftsgruppe in einem bestimmten Kontext. Das Stereotyp ist eines der stützenden Hilfsmittel der Diskriminierung. In anderen Worten, deuten diese Verhaltenserwartungen der Geschlechter ein Geschlechterrollenkonzept in der Gesellschaft an. Deshalb ist es entscheidend, bei der Prävention vor Stereotypen auf eine Änderung der Berufsrollen in einer Gesellschaft zu achten.
Die Zuschreibungen geschehen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter und setzen die Talente eines bestimmten Geschlechts oder einer bestimmten Gruppe entgegen. Die Zuschreibungen unterbinden und erschweren den Gestaltungsraum von Frauen und die Entwicklung ihrer Talente, wie beispielsweise das Stereotyp über die Unfähigkeit von Frauen bei der Nutzung von Technik und ihre besondere Begabung für geisteswissenschaftliche Fächer oder soziale Handlungen aufgrund ihrer expressiven Merkmale. Die Änderung der Rollenmuster in einer Gesellschaft und die Zuweisung von unkonventionellen Aufgaben an Frauen führt mittel- und langfristig zu einer Veränderung in der Kultur und Berufskultur einer Gesellschaft. Insofern ist dem Stereotyp als Hilfsmittel und Wegbereiter der Diskriminierung entgegenzutreten.
Die Hierarchie einer Gesellschaft lehnt sich an das hierarchische Verhaltensmuster an, das in der familiärer Erziehung verborgen ist. Die internen Verhältnisse einer Familie bilden den Kern der Diskriminierung, wo die Geschlechterverhältnisse durch die Erziehungsvorgaben verinnerlicht werden. Die Diskriminierung von Frauen ist ein Bestandteil einer patriarchal aufgebauten Gesellschaft und hat somit soziale Erscheinungen, Folgen und Wirkungen.
Zum anderen sollten Frauen in technischen Firmen modernere Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für sie stärker realisiert werden kann. Mit Work-Life-Balance (WLB) haben moderne Familien und insbesondere Frauen zunehmende Belastungen zu regeln, was ihre zunehmende Flexibilisierung in ihren unterschiedlichen Lebenslagen und kritischen Lebenssituationen und ihr optimales Management der Lebenslagen erfordert. Diese definiert man als eine ausgeglichene Lebensführung und Herbeiführung der Balance zwischen den verschiedenen Lebensbereichen, beruflichen als auch privaten.
Ferner soll den Frauen das Gleitzeit-, Teilzeit- und Telearbeiten ermöglicht werden oder ihnen Führungspositionen in Voll- und Teilzeit ermöglicht werden. Ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit wie Männer, die immer noch bei den mittelständischen und kleinen technischen Firmen der Fall sind, kann als einen anderen Blockierungsfaktor zur Erhöhung der Anzahl der Frauen in technischen Firmen gesehen werden.
Des Weiteren kann es daran liegen, dass die Initiativen und Zivilgesellschaft im MINT-Bereich nicht so eine starke Rolle bei der Vorstellung dieses Bereichs an Frauen und Mädchen gespielt haben. So kann es dazu beigetragen haben, dass die Mädchen nicht von einer Auswahl des MINT-Bereichs im Bildungs- oder beruflichen Bereich überzeugt sind. Insofern ist eine stärkere Vermittlung des MINT-Bereichs seitens der Zivilgesellschaften zu erwarten.
Ein anderer Grund kann sein, dass die Mädchen nicht frühzeitig und regelmäßig, sprich in den Grundschulen, mithilfe von MINT-Experimenten auf diesen Bereich sensibilisiert worden sind, sodass sie später eine MINT-Auswahl treffen können. Dies sind die Maßnahmen zur Motivation von Frauen in den MINT-Bereich einzutreten.
Ein anderer Faktor, der zu diesem Dilemma beiträgt, ist, dass die Migrantinnen als MINT-Fachkräfte nicht ausreichend in gesellschaftlichen und beruflichen Prozedere miteinbezogen werden. Eine Talentförderung nutzt der Wirtschaft und den Talenten selbst. Hier sind sich alle einig.
Obwohl unter den Studentinnen in MINT-Fächern überdurchschnittlich viele Migrantinnen sind, sind diese in geringerem Maße am deutschen Arbeitsmarkt beteiligt. Wenn es doch der Fall sein sollte, sind sie oft nicht sozialversicherungspflichtig, in Teilzeit oder in der Werkvertrags- oder Saisonarbeit beschäftigt. Sie sind somit von höherer Erwerbslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Seit 2015 kommen dazu hochqualifizierte Frauen aus den MINT-Berufen. Eine beidseitig
angemessene Lösung für die Aufnahme und das Miteinbeziehen dieser Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt ist zu erörtern und zu finden.
Darüber hinaus ist Folgendes zu erwähnen. Obwohl die Migrantinnen aus dem MINT-Bereich momentan auf dem deutschen Arbeitsmarkt präsent sind, wird ihre Präsenz nicht auf der symbolischen Ebene, wie z. B. auf Flyern, dargestellt und ihre Existenz auf dem deutschen Markt wird nicht in die Öffentlichkeit reflektiert. In anderen Worten werden sie hiermit diskriminiert. Dabei handelt es sich um den Diskriminierungsaspekt: Intersektionalität (Sex and Race).
Manche Unternehmen begründen ihre Offenheit gegenüber anderen Kulturen durch eine hohe Anzahl von ausländischen Mitarbeiter. Allerdings ist zu erwähnen, dass wenn in einem Unternehmen Menschen aus anderen Kulturkreisen zu finden sind, dies alleine nicht erklärt, dass sie fair behandelt werden. Ein entscheidender Aspekt ist, welche Normen und Kriterien diese Behandlungen beeinflussen, was die Rechte und Pflichten von Personen aus anderen Kulturkreisen sind und wo sich ihre Rechte von den anderen in ähnlichen Situationen unterscheiden. Und ob sie gleich wie ihre Mitmenschen im gleichen Milieu behandelt werden oder nicht.
Der nächste Punkt ist, wie werden ausländische MINT-Frauen aus anderen westlichen Ländern und aus Schwellen- und Drittweltländern behandelt? Werden sie gleich oder anders behandelt? In vielen Fällen findet die erste Gruppe mehr Zuspruch im Arbeitsalltag und bei Aufstiegsmöglichkeiten als die zweite Gruppe. Hierbei spielt die eurozentrische Sichtweise eine Rolle. Bei der ungleichen Behandlung seitens der anderen Mitarbeiterinnen im Alltag ist das Thema "Critical Differences" ein
Fall unter Frauen, d. h., wie sich Frauen untereinander behandeln.
Des Weiteren ist zu erwähnen, dass es beim Achtgeben auf Vielfalt und dem einhergehenden Überschätzen wieder einen
diskriminierenden Aspekt gibt. In vielen Fällen sind in deutschen technischen Unternehmen die US-Amerikaner sehr geschätzt, gefolgt von Menschen aus europäischen Ländern. Erst danach kommen Mitarbeiter*innen aus anderen Ländern zur Geltung und werden niedriger bewertet. Somit wird ersichtlich, wie viel Aufklärungsarbeit noch notwendig ist, bis die Gleichberechtigung im Unternehmen erreicht wird. Dies sind die Faktoren, die ausländische Absolventinnen aus dem MINT-Bereich von deutschen Arbeitsplätzen fernhalten können.
Alles in allem muss ich aber erwähnen, dass der Trend in Deutschland bzgl. des Gewichts und der Rolle der Frauen im MINT-Bereich momentan und im Vorvergleich steigend ist. In diesem Bereich kommen nun mehr Frauen hinzu. Zum Teil ist es konterkariert dadurch, dass die Männeranzahl sinkt und sich dadurch natürlich schon automatisch der Prozentsatz der Frauen erhöht. Zum Teil auch aufgrund der grundlegenden und irreversiblen positiven Änderung der gesellschaftlichen und politischen Struktur Deutschlands, was das Wissenschafts- und Bildungssystem, die Selbstbestimmung und die Partizipation des Menschen anbelangt, aber auch Erfolge und Beiträge der Zivilgesellschaft, die alle zur Befreiung der Frau und ihrer Selbstbestimmung geführt haben.
Das Hervorheben des MINT-Bereichs in der Gesellschaft durch Aufklärungsarbeit oder auch durch große Förderungen im MINT-Bereich seitens Politik, haben ebenfalls dazu geführt, ein anderes Bewusstsein zur Entfaltung der Talente einer Frau oder eines Mädchens und eine Erhöhung der Anzahl der Frauen im MINT-Bereich hervorzurufen. Wenn man über die Situation der Frauen im MINT-Bereich diskutiert, ist ein anderer Faktor ebenfalls erwähnenswert. Diese Frauen werden aufgrund der Umgebungsreaktionen auf ihre Ablehnung der klassischen Frauenrolle unter Druck gesetzt und sie gehen zur Maßnahme über, mehr zu leisten, um beachtet zu werden. So nehmen sie weitere gesellschaftliche Verantwortung an, d. h. die Verantwortung von mehr als einer Person, und damit Mehrarbeit.
Mit der Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung etablierte sich die Präsenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Die bestehenden Vorbehalte gegenüber Frauen bei Übernahme einer technischen Arbeit und die ungenaue Bewertung ihrer Leistung sowie eine abwertende Haltung und Verhaltensstruktur gegenüber ihnen ab dem Vorstellungsgespräch bis hin zum Geschäftsalltag, gestattet keinen Raum für Frauen, eine mitgestalterische Rolle bei den
Geschäftsprozessen zu spielen und lässt ihnen keinen zu Männern vergleichbaren Aufstieg in Unternehmen zu. Allerdings kann die Präsenz von Frauen in technischen Berufen und ihre gleichberechtigte Kooperation mit Männern in diesen Berufen, eine Bereicherung der Arbeitsatmosphäre und Perspektivenwechsel in Unternehmen hervorrufen.
Wie sieht es im internationalen Vergleich aus? Ist der Mangel an MINT-Frauen ein globales Problem?
Ob der Mangel an MINT-Frauen ein globales Problem ist oder nicht, muss ich mit Ja und Nein beantworten. Auf der einen Seite herrschen tradierte Verhältnisse und patriarchale Denkweisen insgesamt noch weltweit. Über eines sind sich die Akteur*innen der Frauenbewegung alle einig, und zwar über die Benachteiligung und Diskriminierung der Frauen in den globalen gesellschaftlichen Strukturen, aktuell und historisch betrachtet. Somit sind die unfairen geschlechtsspezifischen
Arbeitseinteilungen, asymmetrische Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit auf Frauen und Männer, abwertende Haltung gegenüber der Arbeit von Frauen etc. weiterhin globale Probleme.
Auf der anderen Seite ist in manchen Ländern, trotz tradierter Verhältnisse, die bipolare Erziehung der Mädchen und Jungen in den Familien nicht so stark der Fall wie in Deutschland. Das heißt, die Mädchen werden nicht unbedingt an die linguistischen oder geisteswissenschaftlichen Fächer und die Jungen an die technischen Fächer herangeführt, sondern nach ihren Interessen und Leistungen.
Die Eltern sind in der Regel an der Entwicklung ihrer Kinder interessiert und auch daran, dass sie in Zukunft ihren Lebensunterhalt gut verdienen können. Ich bin selbst Deutsch-Perserin und habe erlebt, dass aufgrund der guten Existenzsicherungsmöglichkeiten, die die technischen Fachrichtungen bieten, die Eltern versuchen, ihre Kinder, ob Mädchen oder Junge, von Kindheit an an Fächer wie Mathematik oder Biologie heranzuführen. Wenn das Kind dann selbst das Interesse daran und die Begabung dazu hat, gelingt es später auch verwandte Fächer zu erlernen und auszuüben. In vielen anderen Ländern werden Mädchen technikaffiner erzogen. Diese Eltern sehen von einer bipolaren Erziehung ab und stellen die Leistung des Kindes in Vordergrund. Daraus resultiert, dass in diesen Ländern die Anzahl der Frauen in MINT-Fächern deutlich höher ist als in Deutschland.
Ich habe Ihre Frage mit Ja und Nein beantwortet, da gerade in solchen Ländern mit familiärer Ermutigung zu einer MINT-Ausbildung die politische Macht durch seine rückständigen Vorgaben und Weltanschauung den Zugang der MINT-Absolventinnen zum Arbeitsmarkt blockiert. Beispielsweise im Iran bestehen laut offiziellen Statistiken 66 Prozent der Studierenden aus Frauen, aber die Absolventinnen sind doppelt so hoch von Arbeitslosigkeit betroffen wie die Absolventen.
Im Prinzip soll sich die Bestrebung bei der Ausbildungszeit im Berufsleben auszahlen. Das ist leider in manchen Ländern nicht der Fall. Des Weiteren hat sich die feministische Philosophie einhergehend mit den Diskursen über Individualisierung und Modernisierung entfaltet. Der Wandeltrend einer Gesellschaft ist bei der Analyse der Situation der Frauen zu erkennen. Genau dieses Paradox zwischen den Belangen der Frauen zur Individualisierung und Modernisierung auf der einen Seite
und der Unfähigkeit der politischen Macht auf der anderen Seite führt zu Frauenbewegungen, wie zum Beispiel in Iran.
Des Weiteren sind unterschiedliche Themenkomplexe wie das Geschlecht und die Nation am Modernisierungsprozess einer Gesellschaft beteiligt. Dabei ist der Inhalt des Genderdiskurses einer Gesellschaft das Indiz des Individualisierungs- und Modernisierungsgrads dieser Gesellschaft. In der neueren vergleichenden Nationsforschung wird die Nation als eine Form kollektiver Identität gesehen, die unter verschiedenen geschichtlichen Bedingungen sozial und kulturell konstruiert wird.
Der Faktor Kultur spielt ebenfalls eine große Rolle beim Modernisierungsprozess. Deshalb sind bei der Untersuchung der Fortschritte der Frauen, u. a. bei ihrem Zugang zum MINT-Bereich auf internationaler Ebene, die Indizien Modernisierung, Individualisierung und Kultur einer Nation von enormer Bedeutung. Dies beinhaltet entweder die Analyse der vorhandenen und gesetzlich zugelassenen Möglichkeiten der Frauen oder ihre Bestrebungen hierzu. Daraus geht hervor, dass je moderner eine Gesellschaft ist, desto eher wird es für Frauen möglich, ihre Talente zu entfalten und partizipativer in der Gesellschaft zu agieren.
Eine säkulare, demokratische, alphabetisierte, rationale sowie technisierte Gesellschaft legt die Grundlagen zur Partizipation mehr als eine Gesellschaft, in denen der Kampf für Demokratie, Säkularismus und Alphabetisierung etc. auf der Tagesordnung sind. Kurz gesagt, eine liberale politische Struktur einer Gesellschaft kann der Wegbereiter für eine bessere und mitgestalterische Rolle der Frauen sein.
Hinzu kommt, dass die im Europarat beschlossenen Definitionen oder Regelungen, z. B. über Gender Mainstreaming (GM), in alle EU-Staaten obligatorisch umgesetzt werden müssen. Natürlich beschleunigt dies die Umsetzung der Belange der Frauen in jeglicher Hinsicht. Im Gegensatz dazu müssen sich die Frauen in Schwellen- und Drittweltländern sowohl der allgemeinen Befreiung der Gesellschaft als auch den eigenen Belangen und Genderthemen widmen. Insofern kann man im
internationalen Vergleich mehr Fortschritte bei den Frauen in westlichen Ländern als in Schwellen- und Drittweltländern verzeichnen. In anderen Worten ist dem Genderdiskurs in Drittweltländern ein Schlüsselfaktor zur Demokratisierung zuzuschreiben, aber auch in westlichen Ländern trägt er zur Vertiefung der Demokratie bei.
Sie haben zahlreiche innovative Projekte zur Bildung und zum Berufseinstieg von Migrantinnen initiiert. Welches Potenzial steckt in der Integration von Migrantinnen in den deutschen Arbeitsmarkt?
Genau, ich habe seit Jahren drei große, aktive Projekte für geflüchtete Frauen und Migrantinnen initiiert. Eins davon ist das Projekt "MINT Flucht/Migration Frauen/Mädchen (MINT FM-FM)" vom deutschen ingenieurinnenbund (dib) e. V. Das nächste ist "AKADemikerinnen Flucht/Migration Frauen/Mädchen (AKAD FM-FM)" vom Menschenrechte-Einundzwanzig e. V. Bei beiden bin ich die Koordinatorin. Das Dritte ist ein Projekt für "female migrant and refugee scientists in Europe" von der European Platform of Women Scientist (EPWS).
Bei beiden MINT FM-FM und AKAD FM-FM ist das Ziel, sich für bessere Chancen und Förderungen von Migrantinnen und weiblichen Geflüchteten in Bezug auf Bildung, Ausbildung und berufliche Integration einzusetzen sowie diese Zielgruppen speziell zu informieren. Wir sind der Auffassung, dass zu diesem Zweck der MINT-Bereich gute Möglichkeiten bietet, weil er eine bessere Existenzsicherung ermöglicht. Das Projekt AKAD FM-FM schließt alle Disziplinen ein und begrenzt sich nicht wie MINT FM-FM nur auf den MINT-Bereich. Die Schwerpunkte beider Projekte sind Bildung, Berufseinstieg und Beratung zur Anerkennung der Abschlüsse und Zeugnisse.
Wir haben sowohl bei MINT FM-FM als auch bei AKAD FM-FM bisher viele Aktivitäten im MINT-Bereich vorgenommen, wie beispielsweise der Go Digital-Kurs, Fotografiekurs, Computerkurse, Web-Literaturkurse und das Mentoring einer Mentee im Informatikbereich. Hierzu gehören auch Veröffentlichungen über beide Projekte in Büchern oder auf Webseiten und Portalen,
Organisieren vieler Vorträge im MINT-Bereich und Kooperationen mit Institutionen/Behörden.
Außerdem gestalteten wir die Durchführung eigener Info-Veranstaltungen oder Präsentationen bei Veranstaltungen von Migrantinnen-Organisationen, Versammlungen von Betreuer*innen der Flüchtlingsprojekte und Praktiker der Integrationsarbeit. Weitere Institutionen waren Hochschulen, deutschen Firmen, Verbände und entsprechende Frauenverbände sowie internationale Verbände.
Zu Ihrer Frage über das Potenzial in der Integration von Migrantinnen in den deutschen Arbeitsmarkt lässt sich sagen: Wenn gute Erfolge für Frauen im Bildungsbereich erzielt worden sind, bleibt die Frage, ob diese erworbenen Qualifizierungen der Gesellschaft und den technischen Firmen zugute kommen und ob diese Frauen auf dem Markt und in der Wirtschaft Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Talente bekommen.
Wenn Migrantinnen und Migranten, die aus Ländern mit weniger Vorurteilen gegenüber der Annäherung von Frauen und Technik nach Deutschland immigrieren, im deutschen Arbeitsmarkt integriert werden würden, würde ein Perspektivwechsel in der Brache stattfinden. Infolgedessen würde sich eine gendergerechtere Kultur peu à peu in der Branche etablieren. Diese Kultur benötigen wir zum Teil als eine Gegenmaßnahme zu Klischees. Auf der anderen Seite tragen die Migranten und Migrantinnen in technischen Firmen zur Anpassung der Produkte an Bedarfe der Zielländer bei.
Hierzu möchte ich bewusst auf Migrantinnen hinweisen, da Frauen sowohl kulturell als auch biologisch immer "carriers of tradition" in einer Gesellschaft sind und dabei den strikten moralischen und kulturellen Indizien im nationalen Kollektiv unterworfen sind. Basierend auf Hintergrund, Lebenserfahrung, sozialer oder politischer Sichtweise, Bildungsniveau
und diversen Verantwortungen im Leben nimmt ein Mensch am Technikgestaltungsprozess einer Gesellschaft teil.
Durch die Einstellung von Migrant*innen in technischen Firmen wird das Thema Diversität in den Vordergrund gestellt. Die Managementstrategen bewerten das Diversitätsmanagement und die Vielfalt sowie Erhöhung der Frauenrolle in Unternehmen als Faktoren zur Produktivitätserhöhung für die Unternehmen und als gewinnbringend für die Betroffenen selbst.
Aber auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und Arbeitskräftemangels sowie der Bereicherung der Arbeitsatmosphäre und des Perspektivwechsels in Unternehmen kann man Diversität mit Produktivitätserhöhung verbinden. Heutzutage haben die großen Unternehmen das Potenzial der Diversität erkannt und versuchen, sie zu ihren eigenen Gunsten einzusetzen, da in Anbetracht der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen die Diversität eine Schlüsselrolle spielt.
Inwieweit sind die Produkte in anderen Kulturkreisen tauglich, und können die Feinheiten der Produkte andere Kulturen soweit erreichen, dass diese es kaufen? Kann es zu wirtschaftlichem Nutzen kommen? Diese Feinheiten kann man besser realisieren, wenn sich das Produktionsteam aus gebürtigen Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund, Männer und Frauen, zusammensetzt. Das heißt, wenn Diversität in Unternehmen gelebt wird.
Wenn sich Migrantinnen fachlich gut auskennen, ist es ein großer Gewinn für das Unternehmen, sie miteinzubeziehen. Da sie eine andere Lebenserfahrung, Sichtweise sowie Vielfalt in der Sprache und Kultur des Ziellandes mitbringen, was sicherlich der Kommunikation des Unternehmens mit anderen Kulturen innerbetrieblich, aber auch beim Exportieren der Produkte dienen und den Umsatz steigern kann. Dies kann sowohl bei der Erhöhung der Anzahl des weiblichen Geschlechts in technischen
Bereichen helfen und gegen die Klischees wirken, als auch der Technikentwicklung ein humaneres Gesicht verleihen.
Des Weiteren bringen Migrantinnen und geflüchteten Frauen vor allem Fachkenntnisse im MINT-Bereich mit, sowohl im Lehrbereich und Bildungsinstitutionen als auch auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig haben diese Menschen eine Hürde überwunden, sich auf den Weg gemacht und sind nach Europa immigriert. Das heißt, diese schwierige Lebensphase hat ihre Ausdauer und ihren Willen gestärkt. Sie wollen aktiv ihr Leben verbessern, sie wagen einen Neuanfang und geben alles. Und so wird es ihnen auch gelingen, ihr Leben zu optimieren und den Unternehmen nützlich zu sein.
Um Migrant*innen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, haben Sie die Go Digital- Datenbank entwickelt, eine innovative Datenbank zum Erlernen berufsbezogener Fachwörter. Welche Rolle spielt die Sprachbarriere bei der Jobsuche oder beim Berufseinstieg?
Seit 2018 haben wir jedes Jahr den Go Digital-Kurs organisiert, mit einer Unterbrechung in 2019. In 2022 und 2023 in Kooperation mit der Karl-Arnold-Stiftung und vom EFS finanziert. Davor wurde er zumeist aus dem Bezirksmittel der Stadt Köln-Porz finanziert. Die in diesen Kursen vermittelten Wörter haben wir in unsere selbstgenerierte SQL-Datenbank "Go Digital, Datenbank zum Erlernen der berufsbezogenen Fachwörter" eingetragen.
Diese Datenbank ist begriffsorientiert und siebensprachig (Deutsch, Englisch, Persisch, Türkisch, Russisch, Arabisch und Ukrainisch) sowie multimedial. D. h., es existiert eine deutsche Aussprache, ein Bild, ein Video, ein Beispiel und ein Synonym zu jedem Wort. Diese berufsbezogene Datenbank besteht momentan aus über 3.500 Wörtern in den Bereichen: Medizin, Ingenieurwesen, IT, Pflege, Kunst, Sozialwissenschaften, Kita, Berufskraftfahren, Gastronomie, Verwaltung und Buchhaltung,
Friseurberuf sowie Tourismus. Die Terminologien und Fachwörter sind jeweils einer Kategorie zugeordnet, da sie zu unterschiedlichen Bedeutungen unterschiedliche Übersetzungen haben können. Zunächst werden die Ausgangs- und Zielsprachen bestimmt, dann wird auf der Seite der Ausgangssprache ein Wort eingetragen und man erhält dessen Übersetzung auf die Zielsprache sowie die genannte Aussprache, ein Bild, ein Video, ein Beispiel und ein Synonym
dazu. Diese Datenbank ist unter der Adresse: https://godigital-wb.com aufrufbar.
Die Sprache an sich ist ein Mittel zur Zuordnung der Grundbegriffe zu gesellschaftlichen Zusammenhängen, durch die Verwendung von bestimmten Zeichen und Lauten. In diesem Fall bereitet man sich durch Erlernen der Sprache und Fachwörter für den Einstieg in die Märkte vor. Während Bildung sich in den dazugehörigen Prozessen durch Aneignung von Wissen durch Lernen definieren lässt, eignet man sich die Qualifikation durch eine auf der beruflichen Anforderungen
basierenden Ausbildung an. Echte Teilhabe an der Gesellschaft erreicht man, wenn man sich im Berufsleben entsprechend der eigenen Qualifikation einbringen kann. Damit kann die Person eine soziale Position und einen gesellschaftlichen Status und Chancen zur Verbesserung ihres Lebens haben.
Auf der anderen Seite kann sie diese Teilhabe für die Gesellschaft gewinnbringend nutzen. Insofern wollten wir in AKAD FM-FM unseren Beitrag zur Integration der Migrant*innen und Geflüchteten in den Arbeitsmarkt durch das Organisieren dieser Kurse und Verfügbarkeit der Fachwörter und Ausdrücke auf einer multisprachigen und multimedialen Datenbank leisten. Interkulturalität und Multilingualität spielen eine große Rollen bei der Kommunikation unter Individuen oder Abteilungen und Gruppen auf dem Arbeitsplatz. Wachsende und steigende wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Vielzahl der Länder und der Austausch von Gütern erfordern bilinguale und multilinguale Kompetenzen zur Sicherstellung der Kommunikation und
dem Verkauf der Produkte in Zielländern.
Wie oben erwähnt können Migrant*innen durch ihre Interkulturalität und Multilingualität zur Steigerung des Produktes beitragen und selbst auch in die Gesellschaft integriert werden. Dies gilt auch bei Geflüchteten. Sie sind aber Neuankömmlinge und sollen zunächst die Sprache erlernen. Eine starke Förderung von ihnen würde ihren Zugang zum Markt und ihre schnellere Selbstfindung und -entfaltung ermöglichen sowie das effektivere Einsetzen ihrer Fähigkeiten für die Gesellschaft sicherstellen. Sie sollen nicht auf ihren Migrationshintergrund reduziert werden und ihnen sollte insbesondere bei den Sprachkursen, als
erster Schritt zur Integration, geholfen werden.
Ferner kommen die Neuankömmlinge durch die aktuell ausgerichteten klassischen Maßnahmen durch einheimische deutsche Frauen oder schon lange in Deutschland lebende Frauen nicht weiter. Es sollen Wege gefunden werden, die den Fokus auf den Unterschied und diese Wichtigkeit legen und den Vernachlässigten mehr Chance zum Erlernen der Sprache und Berufssprache geben. Dadurch können sich Talente besser entfalten und es wir gleichzeitig eine humanere Umgebung geschaffen.
Ein bestehendes Problem an vielen Arbeitsplätzen ist, dass die Stellen und Positionen, beginnend von Stellenanzeigen über die Beschlüsse in Unternehmen und dem Geschäftsalltag, immer männlich formuliert sind. Hier haben wir versucht durch die Go Digital-Datenbank den Nutzerinnen ein Mittel an die Hand zu geben, das ihre sprachliche Fähigkeit erhöht und dadurch ihre Position und Situation auf dem Arbeitsplatz schneller festigt.
Eine der drei Dimensionen der Vergeschlechtlichung nach Genderforscherin Donna Haraway ist die individuelle Dimension. Sie beinhaltet unter anderem den kognitiven Faktor. Wenn es um ein abwertendes Verhalten gegenüber der Arbeit einer Frau geht, handelt es sich um eine individuelle Diskriminierung. Die Unterbewertung der Arbeit von Frauen zum Beispiel in kommerziellen Feldern verursacht die Verstärkung einer genderungerechten Atmosphäre und Situation im Leben. Dies kann beispielsweise zur Verunsicherung der Frauen bei Gehaltsgesprächen führen, die sie zur Annahme eines geringeren Gehalts zwingt. Ebenfalls kann die Wirkung dieser Unterbewertung einen psychischen Druck bei Frauen auslösen, der das Ablehnen von Karrierechancen im Laufe ihrer Berufstätigkeit verursacht. Insofern sollten wir als Zivilgesellschaft zur sprachlichen
Stärkung der Migrant*innen und Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt beitragen und Gegenmaßnahmen zu den genannten Schwierigkeiten treffen.
Sie setzen sich dafür ein, dass Migrantinnen, Flüchtlingsfrauen und -mädchen Zugang zu MINT-Bildung und MINT-Ausbildung bekommen. Warum ist Ihnen das wichtig?
Seit meiner Jungendzeit habe ich mich immer sozial engagiert und die Bildung von Migrantinnen und Geflüchteten ist dabei von enormer Bedeutung. Da ich selbst Migrationserfahrung habe, weiß ich um die Notwendigkeit der Bildung von Frauen, kann diese gut nachempfinden und mich dafür einsetzen.
Die feministische Philosophie hat sich einhergehend mit den Diskursen über Individualisierung und Modernisierung entfaltet. Individualisierung ist ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts und bedeutet Unabhängigkeit des Menschen von Stand und Klasse. Sie schließt die Selbstorganisation und -bestimmung des eigenen Lebens, unabhängig von Institutionen wie Familie und vom religiösen Glauben, ein und basiert auf persönlichem Bildungsniveau, Fleiß, Leistung und Kompetenzen. Insofern ist das Bildungsniveau ein Faktor wie viele andere, z. B. Talent, Lebenserfahrung, gesellschaftliche und politische Sichtweise etc., der als Basis für die Teilnahme am gesellschaftlichem und Erwerbsleben wichtig ist. Dies gilt sowohl für Einheimische als auch für Neuankömmlinge und ist nicht geschlechtsbezogen. In anderen Worten schaffen die Weiterbildungen, die jeder Mensch im Prinzip bekommen kann, das Erreichen des gleichen Wissensstands wie Männer in einem Unternehmen und dies kann ein Anlass zur Gleichbehandlung werden.
Allerdings schafft man mit gleicher Ausbildung zwischen Männern und Frauen nur Rahmenbedingungen für eine Bewertung. Wie aber in der Praxis dieser Faktor sich mit den anderen Faktoren zusammensetzt, nämlich beim Umgang mit Frauen, ihrer Bewertung sowie den Konsequenzen und einer fairen Behandlung, hängt von vielen anderen Faktoren ab.Bildung ist als ein innovationsfördernder Faktor zu sehen. Dabei sind der MINT-Bereich, insbesondere die Digitalisierung und die Industrie 4.0, stark hervorzuheben.
Ich möchte nun die Gelegenheit nutzen und auf ein paar aktuelle Probleme hinweisen. Die deutsche Wirtschaft sucht insbesondere in Ingenieursberufen händeringend nach Fach- und Nachwuchskräften. Dennoch ist der Anteil der beschäftigten Migrant*innen im MINT-Bereich noch sehr gering. Beim Zugang zur Bildung der Neuankömmlinge gibt es konkrete Probleme. Man kann nur wenige Frauen und Mädchen mit Migrations- oder Fluchthintergrund in den MINT-Berufen auf dem deutschen Arbeitsmarkt finden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Bei den Frauen, die bereits in ihren Heimatländern eine Ausbildung oder ein Studium in einem MINT-Bereich genossen haben, liegt die Nichtbeschäftigung in ihrem "mitgebrachten" Beruf häufig daran, dass der Berufsabschluss hierzulande nicht anerkannt wird und/oder eine Anerkennung der Abschlüsse zu langwierig ist. Oftmals berichten betroffene Frauen, dass ihnen seitens der Arbeitsagenturen aufgrund noch mangelnder Deutschkenntnisse kein ihrer Ausbildung adäquater Arbeitsplatz angeboten wird. So landen Frauen, die eigentlich in einen Ingenieursberuf gehören, nicht selten in einem Büro als Bürokauffrau oder es wird ihnen eine Lehrstelle z. B. als Friseurin von der Agentur für Arbeit empfohlen, die nicht ihrer Ausbildung entspricht.
Die Lösung haben wir erfahrungsgemäß im Finden einer Aus- oder Weiterbildung in ihrem eigenen oder verwandten MINT-Fach gesehen, aber auch im Beginn eines Studiums. So werden sie nach wenigen Jahren in der Lage sein, sich entsprechend der eigenen Qualifikation ins Berufsleben einzubringen und dieses mitzugestalten. Damit können sie dann zur Realisierung einer geschlechtergerechteren Struktur in technischen Branchen beitragen. Sie agieren somit auch als ein Vorbild für andere Neuankömmlinge. Dadurch werden sie an gesellschaftlichen Prozesse teilhaben und sich für die Gesellschaft gewinnbringend einsetzen sowie zur Schaffung eines geschlechtergerechten Deutschlands beitragen.
Auch Kinder aus Migrantenfamilien, insbesondere Mädchen und junge Frauen, die hier geboren und aufgewachsen sind, werden nach Ansicht von Fachleuten in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Es kommt immer noch vor, dass ihnen von Grundschullehrkräften eine Empfehlung für das Gymnasium verwehrt wird. So müssen viele Eltern darum kämpfen, dass ihre Kinder das Gymnasium ohne Empfehlung besuchen können. Erfahrungsgemäß ist es so, dass wenn die Eltern selbst gebildet sind oder eine Universität besucht haben, ihre Kinder von Lehrer*innen besser eingestuft und ihr Können eher wahrgenommen wird.
Wie sähe Ihrer Meinung nach ein integratives und gerechtes Bildungssystem aus? Welche Maßnahmen würden Sie gerne umsetzen?
Zu den Bedingungen und Verhältnissen der Bildungsprozesse gehören die Begriffe Bildung, Wissen, Lernen, Qualifikation und Kompetenz. Seit den 1960er-Jahren ist die Bestrebung der Politik, die Hochschule als Bildungsort und Arbeitsplatz für Frauen zugänglicher zu machen. Maßnahmen wie die Erhöhung des Niveaus der zugehörigen gymnasialen Vorstufen und die Qualifikationen und Implementierung von Frauenfördermaßnahmen und -plänen an den Hochschulen in den 1980er-Jahren sind weitere vorgenommene Maßnahmen. Trotzdem ist an den Hochschulen eine Unterrepräsentanz von Frauen, insbesondere in Leitungspositionen zu verzeichnen. Dies bezeugt die Dominanz der Männer im Hochschulwesen und Wissenschaftsbereich, insbesondere im technischen Bereich, was den Inhalt des vermittelten Wissens ebenfalls beeinflusst.
Feministische Wissenschaftskritikerinnen haben seit den 1980er-Jahren versucht, den Androzentrismus der Männer als zentralen Maßstab im wissenschaftlichen Bereich zu hinterfragen und ihre Dominanz zu brechen sowie die Gründe der Verachtung von Frauen im wissenschaftlichen Diskurs zu analysieren. Zur Errichtung eines gerechten Bildungssystems soll die Wissenschaft von diesem Dilemma befreit werden. Der Diskurs und die Macht sind miteinander verwoben. Nach der Definition von Michel Foucault bezüglich dieser Verwobenheit im Rahmen seiner Theorie "diskursive Praxis" interagieren dabei ein sprachlicher Aspekt, nämlich der Diskurs selbst, und ein nichtsprachlicher Aspekt, nämlich die Umgebung sowie die politischen Institutionen. Entscheidend bei der Diskursanalyse nach Foucault ist die Wirkung einer diskursiven Äußerung in der Gesellschaft, wie sie etwas bewirkt und nicht die Richtigkeit ihrer Wiedergabe. Nach Jäger (1996, 2001 und 2002) und Link (1999) unterliegen "Sagbares und Nicht-Sagbares" einem Diskurs von gesellschaftlichen Blickrichtungen und Perspektiven zur Akzeptanz des einen und zur Ablehnung des anderen, welche im politischen oder gesellschaftlichen Sinne durch den dominanten Diskurs vorgeschrieben und festgelegt werden.
Nach Evelyn Fox Keller (1995) unterscheiden sich die Studien im Genderbereich in Anbetracht ihrer Strukturierung wie folgt: a) Science of Gender und b) Women in Science. Bei Science of Gender wird das Augenmerk auf die kritische Bewertung der Wissenschaften zur "Konstruktion vom Geschlecht und hierarchischen Geschlechterdifferenz" gerichtet und bei Women in Science wird die Situation der Frauen historisch und gesellschaftlich in den Wissenschaften untersucht. Nach dem Motto, Schaffen von Bewusstsein kann zum Vornehmen von Änderungen führen, ist nun in der Tat eine breitbandige Erforschung der Situation von Frauen in der Technischen Branchen gefordert. Dies erstreckt sich vom Fortbestand der Forschung über geschlechtsspezifische Arbeits- und Gehaltseinteilung oder einer Untersuchung von relevanten Faktoren zur begrenzten
Einnahme von Führungspositionen seitens Frauen bis hin zu Untersuchungen über eine evtl. bestehende Existenz von Stereotypen in der Technischen Dokumentationsbranche und zum Ergreifen von Maßnahmen zur Work-Life-Balance in Technischen Firmen. Diese Faktoren können künftige Untersuchungs- oder Forschungsfelder sein.
Durch die Mischung der Rollenbilder seitens der Männer, insbesondere der jungen Generation, wird es möglich sein, die Jahrzehnte herrschenden Rollenmuster zu hinterfragen sowie in die relevanten Aspekte des anderen Geschlechts Einblicke zu
gewinnen, diese zu analysieren und offener für die Aufnahme der innovativen und fortschrittlichen Forderungen und Handlungsempfehlungen zu werden. Um gesellschaftspolitisch gendergerechte Entwicklungen herbeizuführen, sind die
Innovationspotentiale der Frauen in Wirtschaft, Bildung und Forschung zu nutzen. So kann man ihnen höhere Bildungsmöglichkeiten anbieten, ihre Teilhabe an MINT-Qualifizierungen erhöhen und ihnen Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht einräumen. So kann man auch ihre Kreativität fördern, ihnen eine zunehmende Beteiligung an der Erwerbsarbeit ermöglichen und ihnen letztlich ermöglichen, die Führungspositionen in allen Bereichen der Wirtschaft auch in Teilzeit, unter anderem im technischen Bereich, zu übernehmen, bessere Maßnahmen zur Work-Life-Balance umzusetzen und Maßnahmen gegen Stereotype in der Gesellschaft einzuleiten.
Die Migrantinnen können so bewusst miteinbezogen werden, um ihre Potentiale zu nutzen, ihnen eine gesellschaftlich
partizipative und mitgestalterische Rolle zuzuschreiben und diese zu praktizieren sowie die patriarchalen Strukturen aufzubrechen. Diese Maßnahmen werden eine Gleichberechtigung im technischen Umfeld vorantreiben sowie eine gendersensitivere und geschlechtergerechtere Branchenstruktur und -kultur herbeiführen.
Was beschäftigt Sie zurzeit außerhalb des Bildungskontextes?
Neben meinen beruflichen Pflichten bekleide ich momentan 14 Ämter in diversen Fach- und sozialen, deutschen, persischen und internationalen Organisationen. Aber vor allem habe ich meine Aktivität auf die Unterstützung der Frauenbewegung im Iran konzentriert, nämlich auf die "Frau Leben Freiheit"-Bewegung. Die Menschenrechte werden in keiner Weise seitens der islamischen Regierung eingehalten, und zwar seit der Machtübernahme der Islamisten im Iran. Untersuchungen der Regelungen und Bestimmungen der judikativen, exekutiven und legislativen Gewalt Irans ergeben eine große strukturelle und inhaltliche Missachtung der Menschenrechte in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten sowie im außenpolitischen Bereich.
Die Menschen, und vor allem die Frauen, im Iran haben in den letzten 43 Jahren vielerlei gegen diese Menschenrechtsverletzungen getan. Nun belebte der Tod einer jungen Frau, Mahsa-Jina Amini, in den Fängen der sogenannten Moralpolizei den längst als begraben geglaubten Freiheitsgeist der Iraner wieder. Seit 4 Monaten gehen die couragierten Iraner*innen Tag für Tag auf die Straßen Irans. Genauso protestieren die Iraner*innen außerhalb Irans. Angeführt und angefeuert von mutigen Frauen schreien sie ihren Wunsch nach Freiheit, Demokratie und
Menschenrechten hinaus. Das ist eine Bewegung zur Errichtung von Säkularismus, Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit im Iran.
Diese Bewegung ist generationsübergreifend, von allen gesellschaftlichen Schichten, und unterstützt von Frauen und Männern. Die Regierung hat versucht, den Aufstand mit aller Härte zu unterdrücken. Während dieses Aufstands wurden bisher 520 Menschen, darunter 70 Kinder (unter 18 Jahren), von Sicherheitskräften der Islamischen Republik Iran getötet. Zehntausende wurden verhaftet. Die mutigen Aufständigen machen aber weiter. Angesichts der Ausmaße der Menschenrechtsverletzungen im Iran in den letzten 43 Jahren ist die Reaktion der deutschen Regierung sehr angemessen, diese nicht mehr zu verharmlosen und sie öffentlich zu verurteilen, Sanktionen gegen die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen zu verhängen und den Zuständigen dafür ein Einreiseverbot nach Deutschland zu erteilen und ihre Gelder einzufrieren. Schließlich werden so der Widerstand der Iraner*innen innerhalb Irans sowie deren Unterstützung durch die Iraner*innen außerhalb Irans erhört, wahrgenommen und anerkannt. So wird der Ruf nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit allerlei unterstützt.
PS: Ihre Fragen habe ich vorwiegend auf der Basis von Forschungsarbeiten und Studien beantwortet, die ich im Laufe der Verfassung meiner Dissertation an der Uni Wien vornahm.
Frau Leben Freiheit
Dr.'in Afsar Sattari
Köln, 15.01.2022